Vorabinformationen
Die Ausgangssache war bei einem britischen Arbeitsgericht (Employment Tribunal) anhängig gemacht worden. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger Arbeitnehmer im Sinne des Gesetztes sei. Später wurde die Sache dann vor dem Berufungsgericht (Court of Appeal) verhandelt. Dieses wandte sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Vorabentscheidungsverfahren. Es wollte fünf Fragestellungen zur Arbeitszeitrichtlinie („Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“) geklärt wissen. Darunter auch die beiden folgenden Fragen:
Hat der Arbeitnehmer zunächst unbezahlten Urlaub zu nehmen, bevor er feststellen lassen kann, dass ihm ein bezahlter Urlaub zusteht?
Kann der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub unbegrenzt auf die Folgejahre übertragen, wenn der Arbeitgeber sich weigert, dem Arbeitnehmer bezahlten Urlaub zu gewähren?
Der Fall
Der Kläger war seit dem 01.06.1999 auf Grundlage eines „Selbstständigen-Vertrages ausschließlich gegen Provision“ bei der Beklagten beschäftigt. Am 06.10.2012 trat der Kläger in den Ruhestand. Innerhalb seiner dreizehnjährigen Beschäftigungszeit erhielt der Kläger für seinen genommenen Urlaub keinerlei Vergütung. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger die Zahlung der gesamten Vergütung für den genommenen (und nicht bezahlten) und den nichtgenommenen Jahresurlaub. Diese Vergütungsforderung wies die Beklagte zurück. Nach der Ansicht der Beklagten stehe dem Kläger ein solcher Anspruch nicht zu. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger ausschließlich gegen Provisionszahlung für den Beklagten beschäftigt gewesen sei.
Die Entscheidung
Der EuGH entschied zuerst, dass es nicht notwendig ist, dass der Arbeitnehmer unbezahlten Urlaub nehmen muss, um den bezahlten Urlaub einzuklagen. Eine solche Auslegung gebiete Artikel 7 Arbeitszeitrichtlinie in Verbindung mit Artikel 47 EU-Grundrechtscharta (Recht auf wirksamen Rechtsbehelf). Zweck des bezahlten Jahresurlaubes sei es, dass der Arbeitnehmer sich ausreichend erholen kann. Dies sei aber nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer nicht sicher sein könne, dass er eine Vergütung für den Jahresurlaub erhält. Durch diesen Umstand könnte der Arbeitnehmer außerdem schon im Vorfeld abgeschreckt werden überhaupt Urlaub zu beantragen. Eine solche Handhabung des Arbeitgebers verstoße gegen die Intention des Jahresurlaubs aus Artikel 7 Arbeitszeitrichtlinie. In diesem Zusammenhang sei dann auch kein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet, wenn der Arbeitnehmer erst im Rahmen eines unbezahlten Urlaubs auf Vergütung klagen müsste, Artikel 47 EU-Grundrechtscharta. Insoweit sei eine Klage ohne weiteres Zuwarten (auf den Urlaub) möglich.
Der EuGH entschied auch weiter, dass der Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche im Falle einer Vergütungsverweigerung (für den Jahresurlaub) durch den Arbeitgeber für einen unbegrenzten Zeitraum übertragen kann. Die Übertragung sei deshalb geboten, da sich der Arbeitgeber auf mehrere aufeinanderfolgende Bezugszeiträume verweigert habe, eine Vergütung zu entrichten. Durch diese Weigerung sei es dem Arbeitnehmer möglich, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub uneingeschränkt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses anzusammeln. Der EuGH wies auch darauf hin, dass insbesondere seine Rechtsprechung zur Urlaubsübertragung im Krankheitsfall keine Anwendung finde. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass der Arbeitgeber in dieser Situation nicht weiter schutzbedürftig ist. Die Interessenlage sei eine grundsätzlich andere. Der Arbeitnehmer komme in diesem Fall gerade seiner beruflichen Anwesenheitspflicht nach – und zwar im Übermaß. Er ist dagegen nicht wie im Krankheitsfall abwesend. Vielmehr hat der Arbeitgeber in der Situation sogar davon profitiert, dass der Arbeitnehmer dauerhaft anwesend war und seine Arbeitsleistung erbracht hat.
Konsequenzen für den vergüteten Jahresurlaub
Die Entscheidung zeigt, dass der Arbeitnehmer Urlaubsansprüche auch auf einen längeren Zeitraum hinaus übertragen kann. Also nicht nur auf das Folgejahr. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in Lage versetzt, seinen bezahlten Jahresurlaub auszuüben.
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